Wie ich statt in einer Kneipe unter der Dusche landete

Abendessen ist rum, ich bin noch voller Energie. Jetzt nur noch schnell die Kinder ins Bett und dann aber.
„So, Kinder, Schlafenszeit, wir gehen hoch.“
Das ist das Signal für den bis gerade eben ruhig essenden Großen, sich brüllend vom Platz zu erheben und die Kleinste aus dem Kinderstuhl zu wuchten. Er umgreift sie von hinten und zerrt sie halb nach oben, halb nach hinten. Ich sehe ihre weit aufgerissenen Augen.
„Lass sie. Nicht so. Zieh sie nicht nach hinten. Nicht. Nicht, herrgottnochmal“. Während meines Sermons schafft er es irgendwie, sie aus dem Stuhl zu befreien, ohne ihr beide Füße zu verstauchen. Wie war das: Keine Nicht-Botschaften? Verdammt. Beim nächsten Mal. Leider biegt er nicht ab ins Haus, sondern weiter Richtung Rasen, wo er seine Schwester arglos in die Nestschaukel wirft.
„Sie will schaukeln“, erklärt er und schubst los, dass sie hin- und hergeworfen wird wie ein Losestückgut-Frachter des letzten Jahrhunderts irgendwo in den Roaring Forties.
„Halt, hör auf“, ich schubse das Mittelkind vom Schoß und stürze zur Schaukel, um die Kleine zu retten. „Ihr sollt euch fertig machen, nicht schaukeln.“ Während ich noch die Kleine aus der Nestschaukel hebe, springt der Große bereits wieder von der Sitzschaukel, auf der er ein paar demonstrative Schwenks gemacht hat, brüllt zu seiner mittleren Schwester „Los, wir gehen rein“, und ab ist er.
Kleine schnappen und hinterher eilen: eine Bewegung.
Bereits vom Flur aus stelle ich fest, dass sie natürlich nicht am Zähneputzen sind. Die Kleine auf meinem Arm schaut sich suchend um. „Die haben sich in der Dusche versteckt, weil sie das lustig finden“, erkläre ich ihr. Sofort ertönt das Gekicher. Ich setze die Kleine ab und gehe zur Dusche, um die beiden rauszuholen.
„Zähneputzen sollt ihr, auf jetzt“, versuche ich Motivation zu verstreuen. Erfolg? Mäßig wäre massiv übertrieben. Sie schlurfen von der Dusche zu ihren Plätzen auf Toilette und Hocker in einer gefühlten Ewigkeit. Nicht, dass unser Bad groß wäre. Irgendwie schaffen Kinder so etwas wie ein gegenteiliges Wurmloch: Sie krümmen Raum und Zeit derart, dass sie kürzeste Distanzen in längster Zeitdauer durchqueren. Es sei denn, am Ende warten Süßigkeiten oder Fernsehen. Dann kommt aus dem Nichts ein Warp-Antrieb dazu….
Während die beiden also hartnäckig das Zähneputzen rauszögern, fällt mir auf, dass ich von der Kleinen seit über einer Minute nichts mehr gehört habt. Entweder ist sie also bereits tot, oder irgendetwas in unserem Haus muss gerade dran glauben.
Ich stürze in den Flur, und sehe, wie sie gerade das letzte Teil aus dem Wäschekorb zwischen den Streben des Treppengeländers nach unten fallen lässt. Unten türmen sich ehemals gefaltete frische Kleidungsstücke auf drei Stufen.
Ich schnappe sie und trage sie ins Bad, wo die beiden Großen natürlich immer noch nicht zähneputzen, sondern mittels geradezu römisch anmutender Wasserspiele das Bad in einen 360Grad-Nassbereich verwandelt haben.
„Herrgottnochmal, könnt ihr EINMAL einfach tun, was ihr sollt?“
Ich schnappe die grün-rosa Zahnbürste aus dem Becher, mache Zahnpasta drauf und fange an, der Kleinen die Zähne zu putzen. Gegen massiven Widerstand, versteht sich. „Mach mal Aaaah“, sage ich und merke, dass ich selbst kaum meine Zähne auseinander bekomme. Vorbild? Verdammt.
„Papa, das ist meine Zahnbürste“, klingt es vom Mittelkind leicht genervt-gelangweilt von hinten. „Was? Warum sagst du das nicht früher?“ „Ihre ist die rosa-grüne, weiß doch jeder.“ Aha. Verdammt.
Zahnbürste raus, andere Zahnbürste rein, gegen massiven usw.
„Und jetzt putzt eure Zähne, Herrschaftszeiten.“
Die Kleine ist fertig, mit dem Zähneputzen, mit dem Tag, mit mir. Sie tappelt los Richtung Schlafzimmer. Und schwupps, springt der Große vom Toilettendeckel, um sich ihr anzuschließen. Ich springe auf um ihn aufzuhalten, rutsche in einer der Wasserpfützen aus und knalle rücklings in die Dusche. Mein instinktiver Versuch, Halt zu finden, endet am Mischhebel, und aus dem ein-Quadratmeter-Ultra-Rainforrest-Humidity-Master rauscht Wasser auf mich hinab, in großen, weichen Tropfen.
Meine Seele zieht sich weinend in ihren Schutzraum zurück, mein Kopf schreit nach Whiskey, Cask Strength, während mein Großer,stampfend zum Rhythmus einer imaginären Marschmusik aus dem Bad schreitet und dabei aus „Asterix bei den Briten“ zitiert: „Er hat einen Normalzustand? Hat er?“