Muttertag

Ein Kind schreit. Augen auf, der Wecker zeigt acht Uhr fünfzehn. Mehr Ausschlafen wird das wohl nicht, also aufstehen, Kind schnappen, in die Küche tappen, Radio an, Kaffeemaschine an.

Das halbe Ohr, das dem Beitrag im Radio lauscht, schlägt plötzlich Alarm, als das Wort Muttertag fällt. Nicht, dass ich Wert auf Aktionstage des Kapitalismus lege, aber Blumen für die Madame sind immer eine gute Idee. Also schnell Kind eins und zwei zur Aufsicht auf Kind drei verdonnert und aufs Rad. Die mittlere schreit mir nach: „Geh zur Tulpenwiese, da kosten Tulpen nur 50 Cent.“

Das mache ich! Kaum 3 Minuten später komme ich am Selbstschneide-Acker an. Ein scharf gezeichneter Wolkenschatten rast darüber hinweg. Wo sonst hunderte von Tulpen bunt ihre Blüten der Sonne entgegen recken, sind heute kaum welche zu sehen – vor lauter Vätern, die wohl wie ich hoffen, ihre Holde mit ein paar bunten Blumen zu beeindrucken. Ein paar auf dem Boden kauernd, die meisten aber durch die Reihen streifend, die bunten Gewächse vor ihnen kritisch beäugend. 

Am Eingang steht ein Tisch mit Messern, daneben das obligatorische graue Kassenstahlrohr, mit riesigen Schrauben an einem Mast verankert, der windschief aus einem Betonklotz ragt. Als ich mich nähere, werde ich Zeuge, wie sich zwei Väter bereits in Stellung bringen. 

„Leg den Strauß wieder hin, den hat mein Sohn gepflückt.“ 

„Wenn Sie ein Problem haben, klären Sie das mit mir, nicht mit meiner Tochter.“ 

„Dann bringen Sie Ihrer Tochter bei, nicht zu klauen.“

Ich drehe mich schnell zum Blumenbeet. Offensichtlich wird das hier nicht einfach. 

Beim Messer ist nur am Griff zu erkennen, welche Seite vor Jahren einmal scharf war. McGuiver-mäßig hebe ich einen Stein auf und wetze im Gehen das Messer daran, aber als ich genauer hinschaue, hat stattdessen das Messer eine Scharte in den weichen Stein geritzt. Das hier wird ganz sicher nicht einfach. 

Die Tulpen sehen toll aus, rote, gelbe, weiße, lilane Blüten strahlen mich an. Als ich gerade die erste Blume abschneiden will, ruft neben mir ein Kind: „Papa, komm schnell her, hier ist noch eine ungeöffnete.“ Ach so. Ich blicke über das Feld und bemerke erst jetzt, dass die meisten Tulpen so toll aussehen, weil deren Blüten bereits voll geöffnet sind. Hier und da liegen auch schon Blätter am Boden. Ich schaue zu dem Kind hinüber, aber das starrt mich bereits wütend an. Ihr wortloses „komm bloß nicht näher“ lässt mich in eine andere Richtung lostappen. 

Endlich finde ich eine erste Tulpe, die noch am Anfang der Blüte steht. Ich setze mein Messer an, knapp über dem Boden, da höre ich ein „Entschuldigung“ von rechts. Ich drehe den Kopf. „Sie sind im Bild.“ Ein Vater hat seine Tochter mitten ins Beet gesetzt, seitlich auf die Knie, mit dem bunt getupften Blumenstrauß in der Hand und einem zuckerklebrigen Lächeln im Gesicht. Es ist nicht passiert, wenn du kein Foto davon hast… Ich schneide schnell meine Tulpe und entferne mich. 

Die nächste schnittwürdige Tulpe zu finden dauert keine 5 Minuten. Dort steht schon jemand, aber er schaut gottseidank in das Beet daneben. Als ich mich über die Tulpen bücke, macht er wohl dieselbe Bewegung, wir stoßen mit den Hintern aneinander und ich verliere das Gleichgewicht. Das Messer bohrt sich in die Erde, aber ohne Halt, die andere Hand versucht die erste Tulpe zu schützen und ich kippe vornüber ins Beet, wo ich auf allen vieren lande. Schadenbegutachtung: Unter meinen Knien starben links zwei, rechts eine Tulpe, die, die ich schneiden wollte, ist auch hin. Ich rappel mich auf, schnell weg hier. Gottseidank hat es keiner mitbekommen, nur der Typ hinter mir, und der liegt auch im Beet. 

Nach einer viertel Stunde habe ich dreieinhalb Tulpen: eine große rote, deren Blüte schon ziemlich weit offen ist, eine gelbe, eine, deren Blüte noch komplett geschlossen ist, und eine lilane, die aber nur halb so groß ist wie die drei anderen. Die permanent an mir vorbei streichenden Männer schauen neidisch, manchmal wütend auf meine Ernte. 

Es wird Zeit, wenn die Blumen noch am Bett übergeben werden sollen. Schnell schneide ich noch ein paar weit geöffnete Tulpen und ein paar depressive Kümmerlinge, halbhoch nur, dafür komplett geschlossen, und komme so auf etwa ein Dutzend. Jetzt schnell zurück. An der Kasse merke ich, dass ich kein Kleingeld einstecken habe und der kleinste Schein ein Zehner ist. Wütend stopfe ich ihn in den Schlitz, der nur für Münzen gemacht wurde, versuche den eineinhalbfachen Preis gegen das Lächeln meiner Frau aufzurechnen, und mache mich auf den Heimweg. Vor mir pflückt eine Frau einen Strauß dünner weißblühender Blumen am Wegrand. Das mache ich auch, denke ich. Pimp your flowers! Als ich die letzte Blume pflücke und um die Tulpen drapiere, trete ich in etwas Weiches. Scheiße. 

Egal, schnell nach Hause, Schuhe vor die Tür und drei Sträuße für die Kinder eingeteilt, dann alle ins Schlafzimmer. 

„Oh wie schön, toll, danke ihr Lieben. Was für hübsche Sträuße. Die dünnen Weißen sind ja toll.“ 

„Mensch Papi, da hättest du dir die Tulpen ja sparen können.“ 

Alles Gute zum Muttertag. 

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