Rezension des Romans „Smoke“ von Dan Vyleta
Dan Vyletas Roman ist vor allem eins: opulent, ja fast überbordend. Das über Bord gehende ist dabei die Grundannahme: Im England im ausgehenden 19. Jahrhundert zeigen sich schlechte Gedanken als Rauch, der dem Körper entweicht. Wenn man diese Grundannahme erst einmal akzeptiert hat, was bei mir etwas länger dauerte, öffnet sich allerdings ein ganzer Kosmos dieser Allegorie. Denn Vyleta hält sich nicht damit auf, irgend etwas zu erklären. Vielmehr sei dieses Phänomen zwei Jahrhunderte zuvor in die Welt gekommen und seitdem einfach da. Er beschreibt vielmehr, wie dieser Rauch die Gesellschaft beeinflusst. Der Rauch zeigt sich nämlich immer dann, wenn ein Mensch etwas „Böses“ denkt oder tut. Und dieses Böse entspricht praktischerweise den christlichen Sünden.
Insofern hat vor allem die Kirche, aber auch die immer noch einflussreiche Adelsschicht ein Interesse, bereits Jugendlichen jeglichen Rauch, also jegliche Sünde auszutreiben. Daneben kämpfen auch noch die Torys als Vertreter der Bewahrer und die Liberalen um die Vorherrschaft.
In diesem Chaos versuchen zwei ungleiche Freunde, unbeschadet durch ihre Schulzeit zu kommen. Dabei stolpern sie mitten in den tobenden Kampf um den Rauch, zwischen Erneuerern und Bewahrern, zwischen altem Adel und neuen Arbeitern, und stellen schnell fest, dass es um Leben und Tod geht und ihre einzige Chance darin besteht, das Geheimnis des Rauchs zu lüften.
Ihre Suche, die schnell zur Flucht wird, ist dabei atemberaubend. Vyleta gelingt der Kunstgriff, diesen Rauch als Bestandteil der physischen Welt im Roman zu behaupten, obwohl er im Grunde nur ein allegorisches Substitut für Sünde ist. Und damit wird der Kampf um den Rauch zugleich ein Kampf um die Sünde, um das Recht des Menschen, sündige Gedanken zu haben und Taten zu begehen, sie es, Groll gegen jemand zu hegen, oder einen geliebten Menschen zu begehren. Denn auch die Liebe kommt nicht zu kurz, weil aus den zwei Freunden bald ein gemischtes Trio wird, mit all den damit einher gehenden Verwicklungen. Das Ende ist ein furioser Showdown mit überraschendem Ausgang – mehr sei hier nicht verraten.
Insgesamt liefert Vyleta einen spannenden Krimi mit Tiefgang, ohne dabei in ein Ethikseminar abzurutschen, dessen dichte Atmosphäre und stimmungsvolle, immersive Beschreibungen Englands und vor allem Londons zu Ende des neunzehnten Jahrhunderts einen mitreißen.