Rezension des Romans „Tausend strahlende Sonnen“ von Khaled Hosseini
Was für ein Roman. Hosseini gelingt es auf unglaubliche Weise, die Geschichte zweier Frauen unterschiedlicher Generation in Afghanistan zu erzählen. Ihre Schicksale sind hart. Unehelich geboren die eine, früh elternlos die andere. Und es sind immer Männer, die für Leid sorgen. Ignorierende Väter, prügelnde Ehemänner, eine Gesellschaft, in der Frauen rechtlos sind und natürlich die irgendwann siegreichen Taliban.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebte Afghanistan eine starke Liberalisierung und Angleichung an internationale Standards, mit Einführung einer Demokratie. In den 1970ern unterschieden sich Frauen in Afghanistan kaum von Frauen in Europa. Sie trugen Röcke, keine Kopftücher, gingen an Universitäten studieren und hatten Wahlrecht. Frauen waren daher die am stärksten Leidtragenden der Auseinandersetzungen und der stärkeren Einflussnahme religiös motivierter Gruppen wie den Taliban.
Das Leid der beiden Frauen, die Respektlosigkeit und Gewalttätigkeit, denen sie immer wieder ausgesetzt sind, und die Kraft, mit der sie immer wieder ihre Würde zurück erlangen, ist beeindruckend. Aber das ist kein Frauenroman. Hosseini, der die ersten fünf Jahre seiner Kindheit mit seiner Familie in Teheran gelebt hat, schreibt eher über das Menschsein an sich. Darüber, wie Menschen mit Menschen umgehen, und wie es möglich ist, dass immer wieder Menschen über Menschen herrschen und ihnen schlimme Dinge antun. Warum das so ist, warum verschiedene Gruppierungen sich immer wieder erbitterte Kämpfe um die Hauptstadt Kabul liefern, warum Männer ihre Frauen gewaltsam unterwerfen oder woher der Frauenhass der Taliban kommt, interessiert Hosseini nur am Rande.
Stattdessen schildert er schmerzhaft detailliert die Auswirkungen. Der ewige Krieg, der zum Verlust von Söhnen führt, zu Raketentreffern in Wohngebieten, zum Sieg der frauenverachtenden Taliban, schreibt sich in ihre Geschichten ein. Dazwischen – quasi als Hintergrund – persönliche Erlebnisse, die den Wahnsinn von Krieg und fanatischer Religiosität spürbar machen, wie den frühen Besuch der einen Familie bei den riesigen, alten Buddhastatuen, die später von den Taliban gesprengt werden.
Kann es in dieser Hölle für zwei Frauen ein Happy Ending geben? Dieser Roman hat alles, was man von einem Roman nur erwarten kann.
Khaled Hosseini
Tausend strahlende Sonnen
Herausgeber: FISCHER Taschenbuch
Sprache: Deutsch
Taschenbuch: 400 Seiten
ISBN-10: 3596030935
ISBN-13: 978-3596030934